"Eine Region, in der Kinder kaum noch gesundheitlich versorgt werden können, ist nicht lebenswert"

17.05.24   |  News

Von Prof. Dr. med. Stefan Rupp, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin:

Es geht um die medizinische Versorgung der Kleinsten: Ein Thema, das von höchster Priorität sein sollte. Doch diesen Anschein hat es aktuell leider nicht. Seit vielen Monaten wird nach einer Nachfolgelösung im ambulanten Bereich gesucht – bislang erfolglos. Dabei drängt die Zeit: 

Die kinderärztliche Versorgung in der Region ist schon länger angespannt. Wir Kinderärztinnen und Kinderärzte sowie die Pflege- bzw. Praxisteams arbeiten seit Jahren am Limit – sowohl im niedergelassenen Bereich als auch in der Klinik. Die Ankündigung, dass vier Kinderärzte bis Ende des Jahres ihren Kassensitz zurückgeben möchten und zum Teil künftig nur noch Privatpatienten oder Selbstzahler behandeln, wird die Situation vor Ort leider noch einmal drastisch verschärfen.

Bereits jetzt finden frischgebackene Eltern häufig keinen Kinderarzt für ihre Neugeborenen. Eine Problematik, die auch dazu führt, dass unsere Kindernotaufnahme am St. Vincenz-Krankenhaus noch stärker frequentiert wird. Allein rund 7.000 ambulante Notfälle behandeln wir hier im Jahr – das entspricht bereits in etwa dem Patientenvolumen zweier Kinderarztpraxen. Vielen können wir in der Kinderklinik helfen, doch auch unser Limit ist inzwischen nachvollziehbar erreicht. Gleichzeitig werden in der Notaufnahme immer mehr Kinder vorstellig, die aufgrund ihrer leichteren Erkrankungen eigentlich ein Fall für die niedergelassenen Kollegen wären. Doch auch diese sind mit ihren Kapazitäten schon lange an der Grenze, wenn nicht schon darüber hinaus.

Vor allem als Vater kann ich verstehen, dass viele Eltern verzweifelt sind. Sie kommen aus der Not heraus in die Klinik, denn häufig wissen sie einfach nicht, wohin mit ihrem kranken Kind. Doch diese Zunahme an vergleichsweise leichten Erkrankungen belastet nicht nur unsere Abläufe stark, sondern auch das Team. Eine Situation, die für keinen zufriedenstellend ist: Weder für Kinder und Eltern, die teils lange Wartezeiten in der Notaufnahme auf sich nehmen müssen, noch für das Team der Kinderklinik, das an der Belastungsgrenze arbeitet, um die Kinder medizinisch hochwertig und empathisch zu versorgen.  

Wir werden kein krankes Kind abweisen. Doch unsere Verantwortung in der Klinik liegt ganz klar primär in der stationären Versorgung der kleinen Patientinnen und Patienten sowie der Behandlung von kritisch kranken Kindern. Gesetzgebung und Rechtsprechung machen den Krankenhäusern diesbezüglich eindeutige Vorgaben. Die ambulante Betreuung der Kinder obliegt demgegenüber den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten und folglich der Kassenärztlichen Vereinigung. Dass ausgerechnet diese bislang keinerlei Lösungsvorschläge hat, macht mich sprachlos!

Wir sehen in Limburg im ambulanten Bereich einer gefährlichen Unterversorgung entgegen – und das in weniger als fünf Monaten. Sollte es im Herbst (und somit ausgerechnet zum Start der Erkältungs- und Grippesaison) zum „Worst-Case“ kommen und alle vier Sitze unbesetzt bleiben, wird die Situation kaum noch händelbar sein. Ein Großteil der gesetzlichen U-Untersuchungen kann dann nicht mehr wie bisher stattfinden. Mehr noch: Wenn so auch weniger Impfungen durchgeführt werden, bedeutet dies aufgrund der Impfpflicht, dass die Kinder die Schule nicht mehr besuchen können.

Vor allem in der Kinder- und Jugendmedizin brauchen wir bundesweit tiefgreifende und langfristige Verbesserungen der politischen Rahmenbedingungen. Sei es in der Anpassung eines unzureichenden Finanzierungssystems oder in der Ausbildung und Gewinnung von dringend benötigtem Fachpersonal – sowohl im pflegerischen als auch im ärztlichen Bereich.

Doch die Zeit, bis solche Verbesserungen greifen, haben wir nicht, um die akuten Herausforderungen vor Ort zu lösen. Wir brauchen jetzt in Limburg kurzfristig eine tragfähige Lösung! Ab Herbst ist es zwingend notwendig, mindestens zwei niedergelassene Kinderärztinnen oder Kinderärzte in Limburg anzusiedeln – mittelfristig müssen alle vier Sitze wieder besetzt werden. Nur so können wir gemeinsam eine umfassende und wohnortnahe ambulante wie stationäre Versorgung gewährleisten. Eltern und vor allem die Kinder in der Region können nicht mehr warten!

Seitens der Kinderklinik und dem Krankenhausträger unterstützen wir gerne, wo wir können, und freuen uns, in einem tragfähigen Gesamtkonzept gemeinsam mit dem Landkreis mitzuwirken – schließlich haben wir alle ein gemeinsames Ziel: Für die jüngsten Bewohnerinnen und Bewohner der Region eine hochwertige medizinische Versorgung zu gewährleisten!

Die Kinderklinik am St. Vincenz-Krankenhaus

Die Limburger Kinderklinik bietet eine umfangreiche medizinische Versorgung aller Kinder, vom Früh- und Neugeborenen bis ins Jugendalter. Allein rund 7.000 Kinder werden jedes Jahr in der eigens geschaffenen Kindernotaufnahme versorgt. Dank einer intensivmediznische Einheit können auch schwer erkrankte Kinder in den meisten Fällen heimtnah versorgt werden.