Innovative Xenon-Behandlung setzt neue Maßstäbe in der Höhenmedizin

Vier britische Elitesoldaten haben weltweit für Schlagzeilen gesorgt: Innerhalb von nur fünf Tagen reisten sie von London ins Himalaya-Gebirge und erklommen den höchsten Berg der Welt – den 8.849m hohen Mount Everest.

Möglich gemacht hat diesen Aufstieg in Rekordzeit unter anderem eine medizinische Behandlung – durchgeführt von Priv.-Doz. Dr. Michael Fries, Chefarzt der Anästhesie und Intensivmedizin am Limburger St. Vincenz-Krankenhaus. Der Mediziner behandelte die Bergsteiger mit einer speziell entwickelten Xenon-Therapie, welche die Anzahl roter Blutkörperchen steigert und die Sportler so auf die Belastungen des Anstiegs und Auswirkungen des Sauerstoffmangels optimal vorbereiten soll. Ein bislang weltweit einzigartiges Unterfangen, das neue Maßstäbe in der Höhenmedizin setzen könnte.

Xenon: Ein Edelgas mit überraschender Wirkung

Das Edelgas Xenon wird in der Medizin seit Jahrzehnten als besonders schonendes Narkosegas verwendet. Doch seine Effekte gehen über die einschläfernde Wirkung hinaus: „Xenon stimuliert die Nieren zur Produktion von Erythropoetin, einem Hormon, das die Bildung roter Blutkörperchen fördert“, erklärt Dr. Fries. Diese Steigerung der roten Blutkörperchen optimiert Sauerstoffaufnahme und -transport im Körper und bereitet die Soldaten optimal auf die dünne Luft und die extremen physischen Anforderungen in großer Höhe vor. Die Technik ermöglicht es, die dafür normalerweise erforderliche wochenlange Akklimatisierung drastisch zu verkürzen.

Um den Effekt zu erzielen, muss das Edelgas einmalig 10 bis 14 Tage vor einer Expedition über eine spezielle Maske inhaliert werden. Die richtige Mischung aus Sauerstoff und Xenon ist dabei entscheidend. Ein spezialisiertes Gerät, das Mischung und Inhalation ermöglicht, existiert bisher nur in Limburg – und die genaue Zusammensetzung des Gasgemisches ist derzeit ausschließlich Dr. Fries und seinem Forschungspartner Lukas Furtenbach bekannt.

Eine Forschungsgeschichte: Vom Labor bis zum Gipfel

Die Idee zur Anwendung von Xenon in der Höhenmedizin kam Dr. Fries vor sieben Jahren, als er ein Interview mit dem österreichischen Höhenexpeditionsleiter Lukas Furtenbach hörte. „Dort wurde ein langwieriges Hypoxietraining diskutiert,“ erinnert sich Fries. „Zur schnelleren Vorbereitung auf die Auswirkungen der dünnen Luft in extremer Höhe verbringen die Bergsteiger dabei viele Stunden in einem Hypoxie-Zelt, das den Sauerstoffgehalt auf 7.000 Meter über dem Meer simuliert.“

Dr. Fries erkannte Parallelen zu seinen eigenen Forschungen an der Universitätsklinik Aachen. Dort untersuchte er Einsatzmöglichkeiten von Xenon in der Medizin, unter anderem in der Behandlung von Herzstillstand-Patienten. Der positive Einfluss des Edelgases auf die biologische Aktivität der Körperzellen und seine neuroprotektive Wirkung faszinierten den Mediziner nachhaltig: „Das Edelgas Xenon sollte eigentlich keinerlei Reaktionen auslösen,“ erklärt Dr. Fries. „Dennoch hat es vielfältige biologische Wirkungen.“ So beispielsweise auch auf die Leistungsfähigkeit des Körpers. Kurzerhand kontaktierte Dr. Fries Furtenbach. Die beiden begannen gemeinsam an der Wirkung des Gases zur Vorbereitung auf extreme Höhen zu forschen und stellten eine deutliche Verbesserung der physiologischen Anpassung an große Höhe fest.

Dennoch betont Dr. Fries: „Xenon allein macht niemanden zum Extrembergsteiger. Unsere vier Everest-Besteiger sind hochtrainierte Elitesoldaten mit außergewöhnlicher mentaler und körperlicher Stärke. Dies in Kombination mit dem Hypoxietraining und der Xenonbehandlung hat diesen Erfolg möglich gemacht.“

Kontroversen: Innovation oder riskantes Experiment?

Die Methode ist nicht unumstritten: So kritisierte der internationale Bergsteiger Verband (UIAA) beispielsweise, der Einsatz basiere auf einer unzureichenden Studienlage. Dr. Fries entgegnet: „Wir wissen aus der Anästhesie, dass Xenon keine langfristigen Nebenwirkungen hat und den Körper nach wenigen Minuten vollständig verlässt.“ Daher habe er den Einsatz des Gases nicht als problematisch angesehen, erläutert der Anästhesist.

Die Behandlung mit Xenon findet zudem unter strenger ärztlicher Aufsicht im Limburger Krankenhaus statt. Während der Behandlung hat das Gas einen bewusstseinstrübenden Effekt, der jedoch spätestens nach Beendigung der Xenongabe vorüber ist. Bereits nach wenigen Minuten ist die behandelte Person wieder vollständig einsatzbereit. „In zehn Prozent der Fälle ist während der Behandlung von einer leichten Übelkeit auszugehen,“ berichtet Dr. Fries, „Ansonsten hat Xenon keine Nebenwirkungen.“

Höher, schneller weiter – in Bergsteigerkreisen regte sich die Kritik, das Erlebnis werde durch den Auf- und Abstieg in Rekordzeit herabgewürdigt. „Ein gut vorbereiteter schneller Auf- und Abstieg kann den Auswirkungen der Höhenkrankheit vorbeugen,“ meint Fries. „Rund ein Drittel aller Todesfälle am Berg ist auf die Auswirkungen der Höhenkrankheit zurückzuführen,“ berichtet der Intensivmediziner. Verstopfungen der Venen in der Lunge oder im Gehirn, bedingt durch lange Zeit unter extrem wenig Sauerstoff, führen deutlich häufiger zu Todesfällen oder schweren Verletzungen als Abstürze. „Wenn wir die Zeit unter extremen Sauerstoffmangel also verkürzen, reduzieren wir damit folglich auch das Risiko der Höhenkrankheit – also ein Zugewinn an Sicherheit,“ folgert Fries.

Und die Vorwürfe des Dopings? Schließlich steht der Einsatz von Xenon zur Leistungssteigerung auf der Verbotsliste der Welt Anti Doping Agentur (WADA). „Wir befinden uns nicht im Wettkampfsport, sondern in der Höhenprävention – das ist ein fundamentaler Unterschied,“ betont Dr. Fries. Die Xenon-Behandlung werde als zusätzliche Akklimatisierung zur Prävention von Höhenkrankheit, Höhenlungen- und Höhenhirnödem eingesetzt, nicht zur Leistungssteigerung.

Zukunftsausblick: Chancen für die Bergmedizin?

Dr. Fries sieht in der Xenon-Therapie großes Potenzial für die Sicherheit von Höhenexpeditionen. Dennoch bleibt die Methode vorerst ein exklusives Unterfangen: Eine Everest-Expedition mit vorheriger Xenon-Behandlung und Hypoxievorbereitung kostet derzeit 150.000 Euro.

Neben der Höhenmedizin könnte Xenon in weiteren medizinischen Bereichen bedeutende Fortschritte bringen: Neurologische Forschungen untersuchen derzeit, ob das Edelgas zum Schutz vor Hirnschäden nach Herzstillständen beitragen kann, indem es neuroprotektive Effekte entfaltet. Erste Studien weisen darauf hin, dass Xenon die Regeneration geschädigter Nervenzellen fördern könnte – eine Erkenntnis, die künftig eine wesentliche Rolle in der Notfall- und Intensivmedizin spielen könnte.

Auch als Anästhetikum bleibt Xenon ein interessanter Wirkstoff: Es besitzt keine toxischen Nebenwirkungen, wirkt schnell und präzise und verlässt den Körper innerhalb weniger Minuten, wodurch das Risiko von Komplikationen nach Operationen minimiert werden kann. „Trotz dieser Vorteile bleibt der flächendeckende Einsatz eine Herausforderung, denn Xenon ist selten und extrem teuer,“ erklärt Dr. Fries. Daher wird sich sein medizinischer Nutzen voraussichtlich auf spezialisierte Nischen beschränken. Doch für Dr. Fries steht fest: Die Anwendungsmöglichkeiten sind noch lange nicht ausgeschöpft.

Programmtipp: zdf heute

Wie das Gas Xenon beim Bergsteigen helfen kann

Der Aufstieg in Rekordtempo erregte weltweites mediales Interesse – auch das ZDF wollte mehr erfahren und besuchte Priv.-Doz. Dr. Fries im St. Vincenz-Krankenhaus, um mit dem Chefarzt zu sprechen und sich ein Bild von der innovativen Behandlung zu machen.