Pro Patient ist pro Tag eine Besuchsperson für eine Stunde gestattet (Mo - Sa zwischen 15 und 18 Uhr, sonn- und feiertags zwischen 10 und 18 Uhr).
Die Pflege entwickelt sich weiter, gewinnt an Bedeutung und fordert mehr Eigenständigkeit. Gleichzeitig steht sie vor großen Herausforderungen. Wie kann man diesen begegnen? Und wie sieht die Zukunft der Pflege aus?
Innerhalb der Krankenhausgesellschaft St. Vincenz tragen die Pflegedirektoren Antje Gade und Jens Rößner die Verantwortung für über 720 Mitarbeitende im Pflege- und Funktionsdienst. Zum Tag der Pflege sprachen wir mit ihnen darüber, was ihnen Hoffnung gibt, warum sich Pflegekräfte mehr zutrauen sollten und ob sie ihren eigenen Kindern eine Zukunft in der Pflege empfehlen würden.
Über Pflege wird oft nur im Zusammenhang mit Missständen gesprochen. Was sind aus Ihrer Sicht positive Trends, die Hoffnung geben?
Antje Gade: Die Pflege baut sich endlich eine eigene Lobby auf und wird gehört – das empfinde ich als sehr positiv. Während ärztliche Interessen längst gut vertreten sind, zieht die Pflege nun nach – und das ist enorm wichtig. Pflegekräfte sind eine zentrale Säule der Gesundheitsversorgung. Es wird höchste Zeit, dass ihre Stimmen in politischen und gesellschaftlichen Diskussionen stärker wahrgenommen werden.
Jens Rößner: Ein großer Fortschritt ist außerdem die Akademisierung und Spezialisierung in der Pflege. Gerade im St. Vincenz setzen wir mit unserer eigenen Pflegeschule gezielt darauf, dass Pflegekräfte ihre Fachkompetenz stetig weiter ausbauen können. Ein Angebot, das sehr gut angenommen wird – auch von Fortbildungsteilnehmern anderer Einrichtungen. Darüber hinaus stellen wir fest, dass sich wieder mehr junge Menschen für eine Ausbildung in der Pflege interessieren. Die Plätze für unseren Oktoberkurs konnten wir beispielsweise schon alle besetzen. Ein positiver Trend, der sich hoffentlich weiter fortführt.
Nichtsdestotrotz sieht sich der Pflegeberuf nach wie vor mit vielen Herausforderungen konfrontiert. Welche ist aus lhrer Sicht aktuell die größte? Und wie begegnen Sie dieser?
Antje Gade: Der Fachkräftemangel in Verbindung mit dem demographischen Wandel ist sicherlich die größte Herausforderung, vor der die Pflege derzeit steht. Ohne ausreichend Personal geraten Abläufe ins Stocken, die Belastung der vorhandenen Teams steigt.
Jens Rößner: Deshalb setzen wir auf eine breite Palette an Recruiting-Maßnahmen und langfristige Bindung. Unsere Pflegeschule spielt dabei eine Schlüsselrolle: Wir bilden dort gezielt Nachwuchskräfte aus und freuen uns über eine hohe Übernahmequote – zuletzt konnten wir alle Absolventen direkt in unser Team integrieren.
Ein weiterer wichtiger Baustein ist die gezielte Rekrutierung ausländischer Pflegekräfte. Dabei legen wir großen Wert auf eine nachhaltige Integration: Eine Integrationsmanagerin begleitet die neuen Kolleginnen und Kollegen während des gesamten Prozesses und durch einen sog. Anpassungslehrgang werden sie optimal auf ihre Tätigkeit im deutschen Gesundheitssystem vorbereitet.
Zusätzlich investieren wir in Weiterentwicklung: Unser Ziel ist es, Pflegekräften Perspektiven zu bieten und sie in ihrer Entwicklung aktiv zu unterstützen. Jeder hat bei uns die Möglichkeit, eine Fachweiterbildung zu absolvieren – das stärkt nicht nur die individuelle Karriere, sondern macht den Beruf insgesamt attraktiver.
Viele fordern mehr Wertschätzung für die Pflege. Wie kann das konkret aussehen?
Jens Rößner: Wertschätzung zeigt sich nicht nur durch Worte, sondern vor allem durch konkrete Maßnahmen: Wir legen hier am Standort großen Wert auf einen offenen Austausch auf Augenhöhe. In diesem Kontext haben wir beispielsweise eine eigene Betriebsversammlung für die Pflege etabliert, in der die Mitarbeiter ihre Anliegen direkt ansprechen können.
Auch die Aufgabenverteilung wurde optimiert: Stationsassistentinnen entlasten Pflegekräfte bei Aufgaben wie dem Verteilen von Essen und auch ärztliche Tätigkeiten werden wieder klarer abgegrenzt. Zusätzlich haben wir unser Prämien- und Zulagensystem überarbeitet – mit weniger Bürokratie, mehr Vertrauen und ohne unnötige administrative Hürden.
Antje Gade: Ein ganz entscheidender Punkt ist für mich die Autonomie der Pflegekräfte. Sie sind Experten auf ihrem Gebiet und sollen ihre Aufgaben selbstbestimmt und ohne übermäßige Kontrolle ausführen können. Statt starrer Vorschriften setzen wir auf Fachkompetenz und Eigenverantwortung.
Aber natürlich ist Wertschätzung auch eine gesellschaftliche Frage. Mein Wunsch wäre, dass Pflege als die hochqualifizierte Profession wahrgenommen wird, die sie ist.
Der Pflegeberuf ist vielseitig und anspruchsvoll – weit mehr als reine Unterstützung im medizinischen Alltag. Was macht diesen Beruf für Sie besonders?
Antje Gade: Für mich steckt in der Pflege viel mehr als die reine Grundversorgung. Pflege heißt genau hinschauen: Kleine Veränderungen, motorische Einschränkungen oder Auffälligkeiten lassen sich oft schon bei der täglichen Versorgung erkennen. Pflege bedeutet also nicht nur Betreuung, sondern auch aktive medizinische Beobachtung.
Jens Rößner: Absolut! Pflege hat eine diagnostische Dimension, sei es im Gespräch mit den Patientinnen und Patienten oder in der täglichen Versorgung. Wir sehen Dinge, die vielleicht sonst niemand bemerkt, und können präventiv handeln – sei es bei der Wundversorgung oder der Mobilisierung. Vor diesem Hintergrund wünsche ich mir, dass Pflegekräfte sich wieder mehr zutrauen, das gesamte Potenzial ihrer Ausbildung ausschöpfen und die Profession mit all ihren Facetten selbstbewusst ausleben.
Sie haben beide Kinder: Würden Sie diesen raten in der Pflege zu arbeiten?
Antje Gade: Mein Sohn ist mit meinem Beruf aufgewachsen und sieht, wie sehr ich mich damit identifiziere. Und tatsächlich würde ich jedem, der sich dafür interessiert, raten: Geh in die Pflege! Es ist ein Beruf voller Möglichkeiten, bei dem man direkt mit Menschen arbeitet und ihnen hilft. Man kann sich spezialisieren, Karriere machen oder an der Basis professionell tätig sein – Pflege bietet unglaublich viele Wege.
Jens Rößner: Sehe ich genauso. Ich finde es schade, dass viele die Vielfalt dieses Berufes gar nicht mehr wahrnehmen. Pflege ist nicht nur ein Job, es ist eine Profession, die so viele spannende Bereiche umfasst. Wer in der Pflege arbeitet, kann sich stetig weiterentwickeln und jeden Tag etwas Sinnvolles tun. Deshalb würde ich meinen Kindern definitiv empfehlen: Wenn ihr eine Arbeit sucht, die euch erfüllt, euch fordert und euch gleichzeitig viele Perspektiven eröffnet, dann ist Pflege eine tolle Wahl.
Antje Gade bildet seit Mai gemeinsam mit Jens Rößner die Doppelspitze in der Pflegedirektion der Krankenhausgesellschaft St. Vincenz. Die erfahrene Krankenschwester und Fachwirtin im Gesundheits- und Sozialwesen vereint fundierte Fachkenntnisse in der Pflege mit betriebswirtschaftlichem Know-how. Ein zentraler Schwerpunkt ihrer Karriere liegt auf der Gewinnung und langfristigen Bindung von Fachkräften. In ihrer jüngsten Position als Projektleiterin des PQZ Hessen im Hessischen Ministerium für Soziales und Integration initiierte sie ein bundesweit einzigartiges Programm zur Rekrutierung und Integration internationaler Pflegefachkräfte. Innerhalb kurzer Zeit gelang es ihr, dieses auf 20 Berufsgruppen und über 100 Länder auszuweiten.
„Was können wir erreichen, was können wir gemeinsam gestalten, und wohin kann unser Weg führen? Pflege hat das Potenzial, diese Fragen zu beantworten – und verdient es, es zu nutzen“, betont Gade. Ihr Ziel: Die größte Berufsgruppe aktiv vertreten und gemeinsam mit Jens Rößner und ihrem Team die Position der Pflege nachhaltig stärken.
Jens Rößner übernahm Anfang 2024 die Position des Pflegedirektors der Krankenhausgesellschaft St. Vincenz und verfolgt seither das klare Ziel, die Pflege als eigenständige und hochqualifizierte Berufsgruppe zu stärken und ihr volles Potenzial sichtbar zu machen. Der erfahrene Gesundheits- und Krankenpfleger sowie Betriebswirt im Gesundheitswesen ist seit über zwei Jahrzehnten in Pflege und Management tätig, unter anderem in leitenden Funktionen innerhalb der Varisano Kliniken Frankfurt-Main-Taunus.
„Eine starke Führung und ein empathisches Gesundheitsmanagement sind entscheidend für die Qualität der Patientenversorgung und die Weiterentwicklung unserer Berufsgruppe“, erklärt Rößner. Um diese Perspektiven weiter auszubauen, setzt er gezielt auf Akademisierung, Fachkräftebindung und innovative Personalstrukturen. Mit Programmen wie einem flexiblen Pflegepool, vereinfachten Übernahmeprozessen für Auszubildende und der strukturierten Integration internationaler Fachkräfte verfolgt er das Ziel, die Pflege nachhaltig zu stärken und ihr eine selbstbewusste Position im Gesundheitswesen zu sichern.