Klinikreform regional betrachtet: Geschäftsführer Guido Wernert im Interview

Deutschlands Krankenhauslandschaft steht vor einem tiefgreifenden Wandel. Die geplante Klinikreform soll das System effizienter machen, doch Kritiker warnen vor unstrukturierten Klinikschließungen, längeren Wegen für Patientinnen und Patienten und wirtschaftlichem Druck auf kleinere Häuser.

Was bedeutet das für die Gesundheitsversorgung in der Region? Welche Veränderungen kommen auf die St. Vincenz-Krankenhäuser zu? Guido Wernert, Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft St. Vincenz, gibt im Interview Antworten und spricht über Chancen, Herausforderungen und die Zukunft der regionalen Versorgung. 

Wie bewerten Sie die geplante Krankenhausreform insgesamt? Wo sehen Sie die größten Chancen und Herausforderungen? 

Eine Reform des deutschen Krankenhauswesens ist dringend notwendig, um eine flächendeckende medizinische Versorgung nachhaltig zu sichern und effizienter zu gestalten.  Dabei sind einige Ansätze der geplanten Reform vielversprechend – beispielsweise die Abschaffung des bisherigen Fallpauschalensystems. Wenn Krankenhäuser nicht mehr ausschließlich nach Fallzahlen wirtschaften, sondern die Vorhaltung essenzieller Versorgungsstrukturen vergütet wird, kann das zu einer stabileren Gesundheitsversorgung beitragen.

Doch es fehlen klare Vorgaben zur Umsetzung. Diese Unsicherheit stellt viele Häuser vor existenzielle Herausforderungen. Für einige kommt eine Lösung womöglich zu spät, da sie durch die Belastungen der Corona-Pandemie in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind oder gar schließen mussten.

Zur Krankenhausgesellschaft St. Vincenz gehören das Limburger Schwerpunktkrankenhaus und das Diezer Haus der Grundversorgung. Wie wird sich die Reform auf diese beiden Standorte auswirken? 

Dank vorausschauender Planung und konsequenter Weiterentwicklung sind wir gut vorbereitet. In den vergangenen zehn Jahren sind wir stets über die geforderten Maßnahmen hinausgegangen und haben aus eigener Kraft konsequent in unsere Weiterentwicklung investiert. So haben wir unser Spektrum beispielsweise von 17 auf 34 medizinische Leistungsangebote erweitert – darunter neue Hauptabteilungen wie Gefäßchirurgie, Urologie, Kinder- und Jugendmedizin, Orthopädie, Notfallfallmedizin oder Geriatrie.

Diese strategische Entwicklung zahlt sich aus: Während die Fallzahlen in hessischen Krankenhäusern seit 2019 im Schnitt um 8 Prozent zurückgingen, konnten wir in Limburg 2024 rund 2 Prozent mehr stationäre Patienten behandeln als 2019.

Trotz der wirtschaftlichen Herausforderungen speziell für freigemeinnützige Kliniken sind wir in Limburg dank des Engagements aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter insgesamt stabil aufgestellt und blicken vorsichtig optimistisch auf die Reform.

Die Reform setzt auf Spezialisierung, was bedeutet, dass nicht jedes Krankenhaus alle Behandlungen anbieten darf. Wird sich das Versorgungsangebot im Limburger Krankenhaus mit Einführung der Leistungsgruppen verändern? Fallen Angebote weg? 

Das Limburger Krankenhaus wird als Level-3-Haus eingestuft – eine Stufe unter Universitätskliniken. Das bedeutet, dass hier eine breite medizinische Versorgung mit einer Vielzahl an spezialisierten Leistungen auf hohem Niveau angeboten wird. Nach aktuellem Stand bleibt unser Leistungsspektrum dabei unverändert. Wir decken nach der Klinikreform 34 medizinische Leistungsgruppen ab, darunter z.B. komplexe Gastroenterologie, interventionelle Kardiologie und den perinatalen Schwerpunkt. Die finalen Leistungsgruppen werden zwar erst definiert, doch wir sehen aufgrund unseres geschaffenen Leistungsangebotes eine gute Ausgangslage. 

Wie sieht es in Diez aus? Besteht die Gefahr, dass das kleinere Haus durch die neuen Regelungen benachteiligt oder gar geschlossen wird? 

Diez bleibt ein wichtiger Standort. Besonders die Geriatrie mit 54 Betten gewinnt durch den demografischen Wandel an Bedeutung.

Aktuell bildet Diez 11 medizinische Leistungsgruppen ab und ist als Level-In-Haus eingestuft. Es übernimmt damit einen regionalen Sicherstellungsauftrag für die internistische und chirurgische Basisversorgung sowie Notfälle. Diez bleibt also ein unverzichtbarer Bestandteil der regionalen Krankenhausstruktur. Insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass im Rhein-Lahn Kreis in den vergangenen Jahren leider drei der fünf Akutkrankenhäuser schließen mussten.

Welche Maßnahmen planen Sie, um die Qualität der Patientenversorgung trotz möglicher struktureller Veränderungen zu sichern?

Unsere Strategie basiert auf Vernetzung und Kooperation. Durch die enge Zusammenarbeit mit unseren Partnerkrankenhäusern in Dierdorf und Selters, mit denen wir auch gesellschaftsrechtlich verbunden sind, schaffen wir nachhaltige Synergien in Behandlung, Beschaffung, Personalentwicklung und Wissenstransfer. So stärken wir unsere Strukturen und sichern die Versorgungsqualität.

Ein zentraler Baustein ist zudem die stetige Erweiterung unseres Netzwerks. Offenheit für neue Partnerschaften und strategische Kooperationen ermöglichen es uns, Herausforderungen gemeinsam zu meistern und eine stabile Versorgung zu gewährleisten. 

Welche politischen oder finanziellen Maßnahmen wären aus Ihrer Sicht notwendig, um die Reform erfolgreich umzusetzen?

Ein sofortiger Inflationsausgleich ist essenziell, um die wirtschaftliche Stabilität der Kliniken zu sichern und die flächendeckende Defizitlage zu entschärfen.

Zudem benötigen die Länder mehr Gestaltungsfreiheit bei der Planung von Leistungsgruppen, um regionale Besonderheiten zu berücksichtigen. Zentralisieren klingt zwar gut, eine adäquate Versorgung in direkter Nähe des Wohnortes ist jedoch insbesondere für ältere Menschen manchmal besser.

Ein konsequenter Bürokratieabbau ist ebenfalls notwendig. Diese nimmt nach aktuellem Stand durch die neue Klinikreform jedoch weiter zu. Krankenhäuser müssen von überflüssigen Regularien befreit werden, damit sie effizient arbeiten und ihrem Versorgungsauftrag gerecht werden können.

Wie sehen Sie die Zukunft der medizinischen Versorgung in ländlichen Gebieten unter den neuen Bedingungen? 

Die medizinische Versorgung in ländlichen Regionen bleibt herausfordernd. Gerade kleinere Häuser haben durch die Reform ein erhöhtes Risiko, Leistungsangebote nicht behalten zu können.

Eine Lösung liegt in regionaler Vernetzung und gezielten Kooperationen mit anderen Kliniken über mehrere Standorte – wie wir sie bereits praktizieren – um Versorgungslücken zu schließen und Patientinnen und Patienten wohnortnah zu versorgen.